21 Februar 2010

Angetaute Zahnpasta



Die Zigarette tanzt zwischen seinem Mittel- und Zeigefinger auf und ab. Sie flink und er nervös husten beide Nebelsuppen vor sich hin. Karl war auch schon besser aufgewacht, ohne den faulen Teppich, der sich auf seiner Zunge breit macht.
Beziehungen sind wie Zahnpastatuben wurmt es ihm durch den Kopf, da kann man auch ewig lange darauf rumdrücken, irgendwas kommt irgendwann immer noch raus. Noch ein bisschen mehr quetschen. Noch mal über die Lavabokante und mit beiden Daumen, doch dann kommt der Tag, da hat man genug gequetscht und die Tube fliegt raus. Heute schmeisst Karl die Tube in den Müll und die Beziehung hinterher.
Von der Zigarette vor 543 Tagen zum Morgen danach.
So gesehen, von der prallen neuen Elmex zum Sex mit der Ex.

Der Sommer und sich verlieben war ein Leichtes gewesen. Strassen wurden raufgetanzt, Alleen runtergehüpft und die Schmetterlinge im Bauch duellierten die Bienen auf dem Flohmarkt im Flügelgefecht. Er war sich sicher, gemeinsam ist Karl klar besser als einsam. Früher war Karl ein neuzeitlicher Kolumbus der elektronisch virtuellen Illusion, dass Triebe und Liebe das Gleiche sind. Da schiffte er flott mal von Claudia zu Lena, vielleicht auch mal zurück, vielleicht auch nicht, vielleicht noch über Alexandria. Immer mit auf Mast gehisster Flagge und immer mit dem Wunsch Irgendwo dann mal den Anker zu werfen. Jetzt war sie da und Karl wollte bleiben. Sie war es was er immer gesucht hatte, sie war wie Karl, hatte grosse Augen und Probleme.

Der Winter legte die Schmetterlinge dann auf Eis. Im Kühlfach links neben den Gin. Karl war gemeinsam einsam. Er, die Schmetterlinge und sie. Langsam und schleichend wurde es eng. War da was, forschte forsch der Kolumbus. In der staubigen Ecke neben dem billigen Bett, die es so sonst nur in England gibt, schlummerte die Liebe gefährlich selbstverständlich vor sich hin. Karl musterte sie lange misstrauisch und sah sie, die Einsicht: ein Suchender der gefunden hat, ist überflüssig in seinem Sinn und seinem Sein. Im Hafen der gemeinsamen Einsamkeit kam Karl nicht mehr mit der Dynamik des Stillstehens klar. Fehl am Platz, etwa so wie Lagerfeld bei H&M.

Karl hätte sie am liebsten zurück gebracht. Die Jeans war definitiv drei Nummern zu klein. Den Kassenbon hatte er ja noch. Er klebte am Kühlschrank. Wo liegt der Unterschied zwischen einer Hose und einem Partner? Karl grübelte durch die Nacht und die Nase. Jesses, es gibt keinen, Du suchst dir eine aus, nimmst sie nach Hause, probierst nochmals an ob alles sitzt und dann gibt es Zufriedenheit oder Geld zurück.
Er wollte definitiv sein Geld zurück und eigentlich die Zufriedenheit gleich dazu! Karl wusste was kommt, und hatte sich angewöhnt den Kassenbon nie wegzuwerfen. Für den Notfall. Für den Normalfall.

Er wollte wieder schiffen. Karl ging fremd und nicht mehr nach Hause. Würde er heute zurück schauen, müsste er sagen, dass seine Kaffeetasse wie immer halb voll war - sie aber nun wie Scheisse schmeckte. Peter Cornelius singt, dass der Kaffee fertig ist. Karl ist es auch, und es dünkt ihn weder zärtlich noch herrlich.

Sie verstand vom ganzen Drama nicht viel. Im Sommer hatten beide die gleiche Sprache gesprochen, heute spricht Karl russisch und sie spanisch. Keiner wusste was der andere sagte. Beide erklärten mehr und kapierten weniger. Eigentlich nichts, auch wenn stundenlang ganze Nächte und halbe Tage mit viel zu vielen Wörtern und viel zu wenig Sinn gefüllt wurden. Karl erklärte sich den Mund faul. Die Elmex war aufgebraucht. Die Zunge stank und Karl hatte es satt. Er schrie in sich hinein aber schwieg aus sich heraus.

Heute, an diesem Morgen 543 Tage später. Die letzten toten Wörter des gestrigen verbalen Nahkampfes ächzen neben ihm auf dem Boden. Karl legt sich dazwischen und drückt die Zigarette aus. Die Suche geht weiter und die Einsicht bleibt. Er hat genug gesagt. Heute spricht nur noch die Stille, historisch hysterisch. Die Sucht nach Sehnsucht

11 Februar 2010

Von Maria und Yusuf


Der Vater. Mehmet. So sah er auch aus. Die Mutter. Annerose nannte sie sich später, getauft war sie auf Annerös, wenn nicht sogar Annerösli. Und sie kam von genau dort wo Frauen so heissen. Oder hiessen. Heute überleben binationale, bikulturelle und bireligiöse Ehen vielleicht eher als vor 30 Jahren. Vielleicht auch nicht. Die Scheidungsrate steigt ja bekanntlich kontinuierlich. Mehmet und Annerose schafften es knapp drei Jahre.
Was vom anatolisch-helvetischen Scherbenhaufen übrig blieb war Hasan Peter. Später nur noch Peter. Annerose schnitt ihm den Hasan in der 2. Klasse ab. Dafür durfte er seine Vorhaut behalten. Für den einzigen Sohn eines türkischen Einwanderers auch nicht ganz selbstverständlich. Mehmet nannte Peter weiterhin Hasan, und Gott hiess beim Vater immer Allah. Trotz Sonntagsschule, Bibelstunde, Kirchenbesuch, Religionsunterricht und der täglichen Lektüre im alten wie im neuen Testament mit der bestimmten und besinnten Mutter war für Peter früh klar, dass Jesus nicht Allah war, und dass das gut so war. Irgendwann war es ihm dann egal. Nicht egal war Hasan das Grounding der Swissair 2001. Die Turkish Airlines schien keine attraktive Alternative.
Turbulenzen ganz anderer Art schüttelten Hasan Peter fünf Jahre später kräftig durch. Die Fussballwelt stand nicht Kopf sondern Faust. Als die türkische Nationalmannschaft in Istanbul noch schlechter verlieren konnten als Schweizer Manager Fluggesellschaften retten. Und wieder ein halbes Jahrzehnt später wunderte sich der Sohn von Mehmet und Annerösli warum nun weder die Flieger der einst besten Airline der Welt noch die schmucken Türme der türkischen sprich islamischen Moscheen gen Himmel schiessen durften. Sein Herz schlug mal Fondue, mal Kebab. Für welches Team er spielte wusste er meistens selber nicht.
Im Kafischnaps am Rande des Zürcher Kreis 6 erklärte ihm eine Zwanzigjährige ihr Ja zu besagter Initiative. Sie schien vergessen zu haben dass ihre Mutter Italienerin ist. Und der Vater Schweizer. Von James Schwarzenbach hatte sie nie etwas gehört. Der kranke Mann schien nicht mehr am Bosporus zu sitzen, sondern am Zürisee. Hasan dünkte das politisch und ironisch surreal. Er hatte genug gehört. Peter auch. Kafiraki, so müsste man mal eine Bar nennen.
Mit Schweizer Musik im Ohr und der italienischen Diesel Jeans - Made in Turkey - am Arsch stampft Peter durch den Irchelpark. Ohne zu wissen, dass dieser quasi die Grenze bildet zwischen Oberstrass und Unterstrass. Beide Quartiere 1893 in die Stadt eingemeindet und 1913 zum Kreis 6 umnummeriert. Geteilt vereint. Alle drei. Hasan. Peter. Und der Kreis 6.
Irgendwo über den Wolken fliegt ein Swiss International Maschine und irgendwo ruft ein Muezzin zum Gebet.